Montag, 3. Dezember 2012

Sibiriak...


... ist nicht der, der nicht friert, sondern der, der sich warm anzieht. So lautet eine sibirische Redensart. Und das war in der Tat etwas, das mich im letzten Jahr überrascht hat: sich abzuhärten, Kälte auszuhalten, alles das spielt für die meisten Leute keine große Rolle. Sie ziehen sich eher wärmer an und eher früher warm an, als in Deutschland. Schon bei 0° sieht man praktisch niemanden ohne Wintermantel und Mütze. Auch Wohnungen und Autos sind wahrscheinlich wärmer als in Deutschland – Energie sparen spielt keine große Rolle, wozu auch, das Gas steht ja in Hülle und Fülle zur Verfügung!
Andererseits ist die Liebe zum Schnee, zu Schneeballschlachten, Skilanglauf; Schlittschuhlaufen ungebrochen. Und es ist schön, in der Stadt Figuren aus Eis zu sehen. Es macht Freude, wenn man von langer Arbeit am Schreibtisch müde ist oder morgens noch nicht richtig fit, für fünfzehn, zwanzig Minuten sich die Kälte um die Nase ziehen zu lassen. Nur reiben sollte man die Nase von Zeit zu Zeit, v. a. bei mehr als 25° Frost; im letzten Jahr habe ich das nicht gewusst, und als ich in ein Geschäft kam, sprach mich die Verkäuferin an, dass ich wohl Erfrierungen an der Nasenspitze davontragen würde. Das war nicht der Fall, aber erschreckend bleich war sie schon – die Nasenspitze, nicht die Verkäuferin!
Fazit: Winter in Sibirien ist alles in allem eine schöne Zeit, mindestens bis Mitte Januar...

Sonntag, 18. November 2012

Wie es in Tomsk ist...

..., das kann eigentlich nur ermessen, wer Novosibirsk kennengelernt hat. Novosibirsk ist eine Großstadt mit kurzer Tradition, erst 1893 entstand der Ort für die Arbeiter, die eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Ob' bauen sollten. Zu dieser Zeit hatten die Stadtväter von Tomsk, das seit 1604 bestand und schon lange Sitz eines Gouverneurs war, schon entschieden, dass ihre Stadt - sozusagen - lieber Tübingen als Stuttgart, lieber Göttingen als Hannover sein sollte. Denn die Hauptlinie der Eisenbahn lief auf ihren Wunsche weit südlich an Tomsk vorbei. Aber immerhin hat die Stadt die älteste Universität in Sibirien, 1878 durch Kaiser Alexander II., den großen Reformer, gegründet. Auch sonst gibt es viele alte Gebäude: klassizistische Bauten aus Stein, v. a. für Verwaltung, Hochschulen u. a., und typisch sibirische Holzhäuser.

Auch die Katholiken haben in Tomsk eine lange Tradition: 1808 gab es schon so viele katholische Kaufleute, dass Kaiser Alexander I. die Gründung einer Pfarrei anordnete und mitten in der Stadt ein Grundstück zur Verfügung stellte, um die Kirche zu bauen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen dann nach jedem polnischen Aufstand hunderte von polnischen Katholiken dazu, Mitte des 20. Jahrhunderts dann Deutsche, Litauer und Ukrainer. Diese Vielzahl an Traditionen prägt die Stadt bis heute, auch die Universitäten.

Samstag, 20. Oktober 2012

Der erste Schnee...

fiel hier schon am 11. Oktober, aber er blieb noch nicht liegen. Gestern und heute fiel jedoch Schnee, der bleibt, und es sind auch schon konstant -2/ -3°. Oft hört man die Leute sagen, und mir geht es nach gut einem Jahr übrigens schon genauso: Eine Woche lang ist es schön, wenn man nach draußen schaut und Schnee sieht, aber danach ist man es auch schon leid. Oder, wie mir eine Kommilitonin sagte: "Ich möchte Winter, wo es 5° plus sind. Wo gibt es solche Winter?"
Aber einen Vorteil hat der Schnee unbedingt: Er bedeckt gnädig, in welchem Zustand die Straßen sind...

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Nach einem Monat Studium...

ist es wieder einmal Zeit, sich zu melden. Zunächst einmal: Wer sich die Uni anschauen möchte, wo ich mich "herumtreibe": www.tsu.ru. Die staatliche (früher einmal: "kaiserliche") Universität Tomsk ist die älteste in Sibirien, 1878 gegründet, 1888 waren die Gebäude fertiggestellt, und der Lehrbetrieb begann. Auch ansonsten ist Tomsk eine Stadt des Studiums, über 100 000 Studenten gibt es hier (bei etwa 600 000 Einwohnern). Insbesondere den klassischen Fakultäten und Fächern merkt man die lange Tradition auch an, unter den Dozenten sind einige, die mehrere Fremdsprachen beherrschen, es gibt eine Tradition der klassischen Sprachen und - an unserer Fakultät, der philologischen - eine große Tradition v. a. der Erforschung russischer Literatur in der Zeit nach 1800. Sehr oft geht es dabei um ihre Verbindungen zu den Literaturen anderer Länder und Sprachen, von nationaler Engstirnigkeit kann nicht im geringsten die Rede sein.
Ende September fand eine Konferenz statt mit Professoren aus Italien und Deutschland, die dem Thema "Reiseberichte" gewidmet war. Dabei wurde deutlich, wie wichtig es für viele russische Schriftsteller war, das westliche Europa zu bereisen, aber dass auch westliche Schriftsteller zum Teil mit Begeisterung Russland bereisten.
Leider merkt man unserer Fakultät und der Uni insgesamt manchmal auch den Mangel an Geld und Personal an. Z. B. beim Aufstellen des Vorlesungsplans traten am Anfang des Semesters etliche Fehler auf. Aber mittlerweile läuft das recht rund.
Wenn ich mich in letzter Zeit seltener melde, dann hat das v. a. damit zu tun, dass tatsächlich Uni, Schule, seelsorgliche Gespräche u. ä. das Ihrige fordern. Aber ich werde mich bemühen, euch auf dem Laufenden zu halten.

Samstag, 1. September 2012

"Tag der Kenntnisse"

Der 1. September ist in Russland "Tag der Kenntnisse". An ihm beginnen Schulen und Universitäten das neue Jahr mit einem Feiertag, bevor dann am nächsten Werktag (d. h. übermorgen, am 3.9.) der Alltag beginnt. Dieser Feiertag ist wirklich etwas besonderes. Es ist angemessen, Schülern und Lehrern zu diesem Tag zu gratulieren. In die Schule kommen alle in Festkleidung, viele Schüler mit Blumen, um sie den Lehrern zu überreichen. Auch die Stadt ist den ganzen Tag über voll mit jungen Menschen in Festkleidung.
Da wir eine katholische Schule haben, gab es zum Anfang nicht einen bloßen "Festakt", sondern eine heilige Messe mit anschließender Segnung der Hefte, Bücher, Stifte usw., v. a. aber mit individueller Segnung der Schülerinnen und Schüler. Es traf sich sehr gut, dass gerade heute das Gleichnis von den Talenten (Mt 25,14-30) vorgelesen wurde.
Nach dem Gottesdienst blieben alle noch in der Kirche, denn es schloss sich der kleine Festakt an, zu dem die Erstklässler nach vorne gebeten wurden. Sie wurden feierlich begrüßt, trugen ein kurzes Gedicht vor und bekamen von den Schülern der letzten (=11.) Klasse symbolisch ihr Lese-und Schreib-Lehrbuch überreicht. Auch die Elftklässler wurden beglückwünscht. Ihre Klassenlehrerin wünschte ihnen, dass sie gute Entscheidungen treffen und dabei im Einklang mit sich selbst, mit ihren Familien und mit Gott sind.
Dann kam der feierliche Abschluss, der Ruf: "Zovi, pervyj zvonok" (Erklinge, erster Glockenklang!) und das symbolische Erklingen (ein Elftklässler trug eine Erstklässlerin auf den Schultern, die mit einem kleinen Glöckchen läutete). Daraufhin gingen alle zu einer kurzen Stunde in ihre Klassen, und schließlich trafen sich Lehrerinnen und Lehrer und alle anderen Mitarbeiter der Schule zu einem kurzen Teetrinken.

Mittwoch, 15. August 2012

Katholische Schule in Sibirien

Noch zwei Wochen sind Schulferien, aber allmählich geht es konkret an die Vorbereitungen für unseren Einstieg in das "katholische Gymnasium Tomsk". Mit Sr. Irina habe ich mich abgesprochen, was den Religionsunterricht angeht (sie nimmt die jüngeren Klassen, ich die 9.-11.) und wie die Themen aussehen könnten. Erste Ideen gibt es, wie eine Schulseelsorge gestaltet werden könnte, und vielleicht auch schon Pläne für eine Fahrt mit einigen der ältesten Schüler.
Das Wichtigste bleibt aber noch zu tun: Die Pfarrei, die bisher die Schule trägt, will das neue Gebäude nun dringend zu Ende bauen. Eigentlich sollte die Schule schon am 1.9.2011 umziehen, dann hieß es: Anfang 2012, dann: 1.9.2012, jetzt wird es wohl der 25.9. Aber ich denke, es gibt Grund zur Zuversicht. Ich werde es berichten...

Montag, 2. Juli 2012

Nun also Tomsk - hoffentlich für lange...

"Unsere Berufung ist es, verschiedene Gegenden zu bereisen". So hieß es bei den ersten Jesuiten. Demnach wäre ich wenigstens in dieser Hinsicht ein guter Jesuit. Letzte Woche war ich in Tscheljabinsk am Ural, um dort Freunde zu besuchen. Die Zugfahrt war, wie immer, anstrengend, aber interessant. Von Moskau bis Ufa (etwa 30 Stunden Strecke) war der Zug voll mit Soldaten, die ihren Dienst beendet hatten und zu ihren Familien zurückkehrten. Die meisten von ihnen waren Baschkiren, also Muslime. Das hatte den erfreulichen Nebeneffekt, dass sie nüchtern blieben. Aber witzig war es andererseits, dass sie nur mit Boxershorts und Badeschlappen (es war im Waggon über 30° warm), dafür aber mit militärischem Barett samt Abzeichen durch den Zug liefen. Die meisten von ihnen, scheint mir, waren im Grunde einfach noch Kinder.
In Tscheljabinsk hatte ich die Möglichkeit, mit einigen Leuten aus der Pfarrei ausführlich zu sprechen. Man sieht sich ja selten, die Entfernungen sind einfach zu groß (von Tscheljabinsk bis Novosibirsk 22 Stunden), aber man ist doch bald vertraut miteinander. Beeindruckend ist in der Pfarrei von Tscheljabinsk die Jugendarbeit, wo bei einigen dann auch die Frage nach der Berufung im Raum steht, und die Caritas, die z. B. ein Mutter-Kind-Heim betreibt oder deren Mitarbeiterinnen junge Mütter im Gefängnis besuchen, um mit ihnen in Gruppen das Mutter-Sein einzuüben.
Von Tscheljabinsk bin ich dann nach Novosibirsk gefahren und schließlich nach Tomsk. Hier helfe ich nun den Sommer über in der Pfarrei mit, und ab September werde ich ja dann studieren und in der katholischen Schule unterrichten. Darauf freue ich mich sehr. Die Stadt ist viel kleiner als Novisibirsk und viel älter. Aber dazu mehr, wenn ich sie besser kennengelernt habe...

Mittwoch, 20. Juni 2012

Nach langer Funkstille...

Nun habe ich mehr als einen Monat nichts von mir hoeren lassen, da wird es wieder einmal Zeit. Aber wie schon an den fehlenden Umlauten zu erkennen, sitze ich nicht am eigenen Computer, sondern bin wieder einmal auf Reisen.
Die Zeit seit Mitte Mai war sehr erfuellt. Zunaechst habe ich unseren Seminaristen zwei Einkehrtage gegeben, zum Abschluss des Studienjahrs. Das war fuer sie wichtig, damit sie noch einmal ueber ihren weiteren Weg nachdenken konnten. Zwei von ihnen fahren im September nach St. Petersburg, um dort zu studieren. Zwei bleiben in Novosibirsk, aber auch mit diesen werde ich ja nicht mehr viel zu tun haben, weil meine Aufgabe als Spiritual jetzt beendet ist (hier endet das Schul- und Studienjahr immer Ende Mai). Unsere Frage ist: Was nehmen sie mit? Was haben sie gelernt, was ihnen hoffentlich fuer ihre Zukunft helfen wird?
Danach habe ich Mutter-Teresa-Schwestern in Novosibirsk Exerzitien gegeben. Bei ihnen ist beeindruckend, wie sie von ihrer Arbeit fuer Alkoholkranke und Arme erzaehlen. Anfang Juni habe ich dann selbst Exerzitien in Moskau gemacht und dann bis 19. Juni westlich von Moskau, fast auf dem Land, Exerzitien gegeben.
Nun fahre ich mit dem Zug erst nach Tscheljabinsk am Ural, um Freunde zu besuchen, und von dort aus nach Tomsk. Ein neuer Anfang...

Montag, 14. Mai 2012

Edith Stein in Sibirien

Eine Mitarbeiterin unseres Kulturzentrums, Lina, hatte die sehr gute Idee, eine zweitägige Konferenz zur Philosophie von Edith Stein zu organisieren. Natürlich war es gar nicht so leicht, Leute zu gewinnen, die dazu etwas zu sagen haben. Die Idee, aus Deutschland oder Österreich jemanden einzuladen, haben wir nach etwas Zögern verworfen, und stattdessen einheimische Professoren und Doktoranden zusammengerufen, die sich auf Phänomenologie verstehen. Das hat dann dazu geführt, dass wir einige hochspezialisierte Vorträge hatten, die immerhin etwa 15 Gäste angezogen haben (eine sehr hohe Teilnehmerzahl), aber auch einen Besuch in der Synagoge haben wir in diesem Rahmen organisiert.
Ein paar Schocks gab es zwar auch: Einer der Professoren hat wohl erst vor wenigen Tagen ein Flugticket aus Chanty-Manssijsk gekauft, was weit weg liegt und schwer zu erreichen ist (etwas teurer, als wir gedacht hatten, über 400 €), zwei Dozenten sind am Samstag abend nicht in dem Haus aufgetaucht, wo sie übernachten sollten, aber das gehört dazu ...
Insgesamt ist es uns gelungen, ein Wochenende zu organisieren, das insgesamt 60-70 Leuten, Katholiken wie Nichtkatholiken, von Jung bis Alt, Akademikern und Nichtakademikern, eine Begegnung mit der Philosophin und Heiligen, Jüdin und Christin Edith Stein sowie mit der Kultur und Religion des Judentums ermöglicht hat.

Mittwoch, 9. Mai 2012

9. Mai - "Tag des Sieges"

Am Abend des 9. Mai ging ich mit einem anderen Priester spazieren. Als wir zwei junge Katholikinnen trafen, riefen sie uns zu: "herzlichen Glückwunsch zum Feiertag!" Der andere Priester meinte, das sei Spott über mich, denn schließlich wird an diesem Tag ja der Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland 1945 gefeiert. Aber das habe ich nicht so empfunden, und zwar natürlich auch, weil die Niederlage Hitlers ernsthaft niemand bedauern kann, aber nicht nur deshalb. Denn zwar ertönt in der Stadt teilweise Militärmusik, es fand am Vormittag eine Militärparade statt mit Panzern und allem, was dazugehört. Aber die Stimmung insgesamt ist doch friedlich: Meistens singen auf Bühnen Kinder, Luftballons und Zuckerwatte werden verkauft, es ist wie bei einem Volksfest. Und das schönste: Die Hauptstraße, der "rote Prospekt", ist einmal für einen Tag lang (jedenfalls nach der Parade) in der Hand der Fußgänger. Aber damit nun Schluss für heute, denn gleich ist Abendgebet, und danach möchte ich mir noch das Feuerwerk anschauen.

Dienstag, 1. Mai 2012

Anton Tschechow

Da nun die Entscheidung gefallen ist, dass ich ab Herbst in Tomsk ein Aufbaustudium in russischer Literatur machen werde, habe ich bereits angefangen, mich insbesondere mit dem Autoren zu befassen, über den ich dann auch besonders arbeiten werde: Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) ist ja auch im deutschen Sprachraum recht bekannt für seine Theaterstücke, v. a. die "Möwe". Weniger bekannt sind seine Erzählungen, von denen aber manche wahre Goldstücke sind. Besonders hat er viele kurze Erzählungen über Beamte geschrieben, worin es ihm immer wieder um die innere Unfreiheit geht, um den Geltungsdrang und das Bedürfnis, sich gegenüber Vorgesetzten konform zu zeigen. Auch einige längere Erzählungen hat Tschechow geschrieben, so "Steppe": hier geht es darum, wie ein Schüler durch die Steppe in eine fremde Stadt reist, um dort aufs Gymnasium zu gehen, und wie dadurch ein neues Leben anfängt, oder "Duell": zwei Feinde kommen beim Duell gerade noch mit dem Leben davon und fangen ganz neu an, oder schließlich: "Krankenzimmer Nr. 6", eine Erzählung vom Umgang mit (vermeintlich) psychisch Kranken, von mangelnder Tatkraft und schließlich Rebellion. Tschechow stand zwar der Religion distanziert gegenüber, aber seine Texte haben doch, scheint mir, eine prophetische Dimension und Anklänge an Altes und Neues Testament. Aber am besten: einfach lesen ...

Samstag, 21. April 2012

Zwei alte Mangel-Witze

Wenn man die Sorgen eines Volkes verstehen will, sind Witze manchmal eine ganz gute Quelle. Daher zwei Witze aus sowjetischer Zeit, die aber bis heute helfen, Menschen zu verstehen:

Über den quantitativen Mangel:

Vater und Sohn trinken zusammen Tee. Da beschwert sich der Sohn: "Papa, der Tee, den wir trinken, schmeckt einfach nicht." Der Vater wird wütend: "Diese Jugend von heute! Dein Großvater hat von diesem Teebeutel getrunken, ich trinke mein ganzes Leben lang von diesem Teebeutel, und da kommst du auf einmal an und beschwerst dich, dass der Tee nicht schmeckt!"

Und über den qualitativen Mangel

Eine Zeitungsmeldung: Zugunglück. Der ganze Güterzug ist abgebrannt. Nur ein Waggon blieb verschont. Dieser Waggon war voller Streichhölzer.

Montag, 9. April 2012

Christus ist auferstanden. - Er ist wahrhaft auferstanden.

Die Kartage (Gründonnerstag bis Ostersonntag nach dem katholischen Kalender - nach dem orthodoxen fangen sie erst am 12.4. an) durfte ich in Serebropolje feiern, einem kleinen Dorf in der Nähe von Omsk. Dort hat die katholische Kirche ein Haus gebaut, in dem alte Menschen gemeinsam wohnen dürfen. Betreut wird dieses Haus von einer Deutschen namens Regina. Bisher ist es noch nicht eröffnet, nur die "Gründerin", Baba Ella, eine Deutsche, die ihr Grundstück dafür zur Verfügung gestellt hat, und eben Regina wohnen dort. Daneben steht eine kleine Kirche (um diese Jahreszeit nicht mehr mitten in Schnee und Eis, dafür mitten im Schlamm), in der wir die Gottesdienste gehalten haben, mit etwa 10-20 Teilnehmern. Das Dorf insgesamt ist in keinem guten Zustand. Immerhin sind die Häuser bewohnt, aber in manchen regiert der Alkohol (außer in den Häusern der Baptisten). Viele Menschen haben schwer behinderte Kinder. Um so schöner war es, die Beichten zu hören und die Gottesdienste zu halten. Denn gerade in der Osternacht wurde deutlich, dass das Licht stärker ist als die Dunkelheit. Und Baba Ella hat erzählt: frühmorgens am Ostertag standen ihre Freunde, die Baptisten, unter ihrem Fenster und haben Osterlieder gesungen. Es war wirklich eine Freude, sich mit den Worten zu begrüßen, mit denen man sich an Ostern begrüßt:

Christos voskres. - Voistinu boskres.
Christus ist auferstanden. - Er ist wahrhaft auferstanden.

Montag, 2. April 2012

Karwoche und Ostern

Mittlerweile hat die Karwoche angefangen (jedenfalls die katholische, die orthodoxe lässt noch ein paar Tage auf sich warten). Am Palmsonntag durfte ich morgens die Messe für die vier Schwestern des Karmels in Novosibirsk halten. Sie leben in strenger Klausur, nehmen also nicht an den Gottesdiensten in der Stadt teil. Das war sehr bescheiden, aber wie immer sehr feierlich, was den Gesang angeht. Am Gitter im Besuchszimmer haben wir angefangen, dann sind die Schwestern innerhalb der Klausur in die Kapelle gezogen, ich außerhalb. Etwas später kam dann mein eigentlicher Feiertag: Während der Messe in der Bischofskirche durfte ich Beichte hören. 15 Minuten vorher habe ich angefangen, und erst kurz vor dem Schlusssegen war ich fertig. Daran schloss sich dann eine Katechese-Stunde mit Jugendlichen an. Diese Jugendgruppe kenne ich gut, und mich freut immer wieder, wie interessiert sie sind, sich mit dem Glauben zu befassen.

Am Dienstag der Karwoche ist Chrisammesse (Messe mit Weihe der heiligen Öle und Versammlung der Priester), und dann werde ich in ein kleines Dorf bei Omsk fahren, um dort an den Kartagen die Gottesdienste zu halten. Dort wird wohl nur eine ganz kleine Gruppe sein, aber um so mehr freue ich mich auf diese Aufgabe.

Samstag, 24. März 2012

Frühling in Sibirien

Nach knapp zwei Wochen in Deutschland bin ich nun am 22.3. wieder nach Novosibirsk zurückgekehrt, und siehe: Der Frühling ist da. Tagsüber erreichen die Temperaturen etwa +2°, nachts -5°. Das fühlt sich wirklich sehr frühlingshaft an, zumal die Sonne wunderbar scheint. Es hat nur zwei Nachteile: Abends, wenn der angetaute Schnee wieder überfriert, kann es sehr glatt werden. Und es wird sehr schmutzig auf den Straßen.

Unterdessen ist wohl Zeit, so etwas wie eine Bilanz des Winters zu ziehen. Erschreckend ist, dass es wohl wieder einige Dutzend Erfrorener gegeben hat - meist obdachlose Alkoholiker. Und das, obwohl es ein milder Winter war. Freilich versuchen die Schwestern von Mutter Teresa, den Leuten ein Dach und eine warrme Mahlzeit zu bieten (soweit sie ernsthaft bereit sind, auf den Alkohol zu verzichten), und die Caritas besucht Leute und bringt ihnen Tee. Aber das sind natürlich immer nur Tropfen auf den heißen Stein.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Eine Einladung

Noch eine kleine Begebenheit von meiner Reise nach Tscheljabinsk Ende Januar: In Tjumen, gegen neun Uhr morgens, stieg eine junge Frau mit ihrem etwa dreijährigen Sohn ein und setzte sich auf die Bank mir gegenüber. Der Junge hatte gerade einen leicht martialischen Roboter geschenkt bekommen und spielte damit. Wenn er nicht ruhig war, sagte die Mutter: Ich sage gleich den Onkeln Milizionären bescheid (die in der Zwischenzeit meine Dokumente überprüft hatten), damit sie dich abholen - pädagogisch wahrscheinlich sehr wertvoll. Eigentlich habe ich mich mit dem Jungen gar nicht viel beschäftigt, lieber etwas gelesen und gedöst. Aber als sie dann abends in Omsk ausstiegen (etwa acht Stunden von Novosibirsk entfernt), sagte er zu mir: Morgen renoviere ich unsere Wohnung, und dann kommst du zu uns zu Besuch. Wenn das keine Einladung ist!

Seelsorge als Dienst?

"Mach uns würdig, Herr, unseren Mitmenschen zu dienen, die in Armut und Hunger leben und sterben." Dieses Gebet von Papst Paul VI. (+1978) beten die Mutter-Teresa-Schwestern jedes Mal nach der Messe. Und mir scheint, daran ist etwas sehr Wahres. Denn nun ist Russland nicht ein Land allergrößten Elends, aber verschiedene Formen von Armut fallen doch mehr ins Auge als in Deutschland: Perspektivlosigkeit, Gewalt in Familien, Alkoholismus, aber tatsächlich natürlich auch Angst um die nackte Existenz. Die Versuchung ist groß, sich irgendwie überlegen zu fühlen (wobei: wieso eigentlich?).

Dazu kommt noch eine andere Versuchung: Der Priester (der orthodoxe ebenso wie der katholische) wird schlicht und einfach "Vater" genannt - in einem Land, in dem es eklatant an Vätern fehlt. Darin liegt wohl eine große Chance, diese Rolle anzunehmen und Menschen zu helfen, aber auch ein eklatantes Risiko, nämlich, asymmetrische Beziehungen auszunutzen.

Deshalb, scheint mir, ist es enorm wichtig, immer wieder zu lernen, sich auch von Gott darüber belehren zu lassen, wie wertvoll Freiheit ist oder Gerechtigkeit, und dass Vollmacht in der Kirche nur etwas taugt, wenn sie von diesen Tugenden geprägt ist, und von der Barmherzigkeit, also alles in allem von Liebe.

Und schließlich: Wenn man bemerkt, wie wertvoll ein anderer Mensch ist, jeder beliebige Mensch, auch wenn es ihm noch so dreckig geht, dann spürt man, spüre ich jedenfalls in der Tat: Wir, v. a. wir Priester, sind nicht würdig, anderen zu dienen, wir können es vielleicht aber mit Gottes Hilfe jeden Tag ein bisschen mehr werden.

Dienstag, 31. Januar 2012

Reisen in Russland

Mit dem Zug durch Russland zu fahren, ist immer wieder etwas Besonderes. Es empfiehlt sich sehr, mit dem "Plazkartnyj", d. h. dem Liegewagen 3. Klasse, zu fahren. Dabei handelt es sich um einen grundsätzlich durchgängigen Waggon, der aber durch dünne Wände doch unterteilt ist. Allerdings ist der Gang offen. Essen sollte man mitbringen, einen Becher und heißes Wasser für Tee bekommt man gestellt. Manche Leute richten sich an ihrem Platz fast ein bisschen wie in einer kleinen Wohnung ein -kein Wunder, wenn manche vier, fünf Tage lang am Stück unterwegs sind.

Ich selber war nun nicht vier Tage lang unterwegs, aber doch eineinhalb Tage von Novosibirsk nach Tscheljabinsk und wieder eineinhalb Tage zurück. In dieser Zeit habe ich einen Kirgisen kennengelernt, der von seiner Frau und Tochter in Tschita (das liegt im Fernen Osten) zur Arbeit nach Tjumen in Westsibirien fuhr. Er hat mir als Muslim und Orientale seine Meinung dargelegt, dass bei den Christen die Vergebung der Sünden eine zu große Rolle spielt und dass es bedauerlich sei, dass bei den Christen die Frauen zu viel Macht haben und sich zu schamlos in der Öffentlichkeit zeigen (d. h., dass der Gast überhaupt die Frau seines Gastgebers sieht, ist für ihn schon eine unnötige Versuchung zum Ehebruch). Später saß im Zug eine Gruppe von jungen Frauen mit ihren Töchtern, die von einem Ballettwettkampf heimfuhren. Für sie war ein katholischer Priester im Abteil erstens eine kleine Sensation, aber zweitens eine willkommene Gelegenheit, über die verschiedensten Gewissensfragen zu sprechen. Eine Frau erzählte, sie sei mit achtzehn auf ihren eigenen Wunsch orthodox getauft worden. Von der Kommunion wusste sie aber so gut wie nichts, und zur Beichte traut sie sich nicht, weil sie orthodoxe Priester als unnahbar empfindet. Interessant:  Hier habe ich schon mehrfach gehört, wie demokratisch, modern und aufgeschlossen doch die katholische Kirche sei ...

Schließlich habe ich noch einen jungen Baschkiren kennengelernt, einen Muslim aus dem südlichen Ural, der auf der Reise war, um im äußersten Norden Russlands in einem Bergwerk sein Berufsleben zu beginnen. Man darf ihm dazu wohl viel Glück wünschen ...

Exerzitien

Nun komme ich endlich dazu, etwas zu schreiben über die Exerzitien, die unsere Seminaristen gemacht haben: Vom 9.-17. Januar waren wir im Exerzitienhaus der Jesuiten, am Stadtrand. Es versteht sich, dass dort jeder einzeln im Gebet seinen Weg mit Gott gegangen ist (deshalb kann man über Exerzitien auch so schwer etwas schreiben). Beeindruckend waren die Ernsthaftigkeit der jungen Männer und ihr Wunsch nach Gebet und Stille. Ihnen geht es nicht darum, sich später einmal als Priester darstellen oder in den Mittelpunkt rücken zu können. Hoffentlich hält sich das während der kommenden Jahre im Seminar in St. Petersburg.

Donnerstag, 12. Januar 2012

"Orthodoxes Weihnachtsfest"

Am 7. Januar war es so weit: der Weihnachtstermin der Ostkirche. In der Stadt findet dieser Tag nicht sehr viel Beachtung, immerhin sind viele Geschäfte geschlossen. Aber was erfreulich ist: Auf immer mehr Plakaten wird nicht mehr nur zu Neujahr, sondern zugleich zu Weihnachten gratuliert. Und auch immer mehr junge Leute wünschen "frohe Weihnachten". Gerade in der Öffentlichkeit findet also die Religion immer mehr Beachtung. Auch waren im Lauf des Tages sehr viele Menschen in den orthodoxen Kirchen, um zu beten oder Kerzen anzuzünden - gerade auch Familien mit Kindern. Ein Familienfest ist Weihnachten aber nicht, das ist und bleibt wohl Neujahr.

Dienstag, 10. Januar 2012

Wissenschaft und Glaube

Es war ein großes Ereignis, dass Pater José Funes SJ, der Direktor der päpstlichen Sternwarte ("Specola Vaticana": http://de.wikipedia.org/wiki/Specola_Vaticana), bereit war, ausgerechnet in Novosibirsk darüber zu sprechen, wie sich (seine) Wissenschaft und christlicher Glaube zueinander verhalten. Das Interesse sprengte die Dimensionen des Saales, über 70 Personen nahmen an dem Vortrag teil. Für nichtkatholische Teilnehmer (das war wohl etwa die Hälfte) war es besonders erhellend, zu erleben, dass hier ein katholischer Priester nicht um jeden Preis Recht haben, sich nicht "durchsetzen" will, sondern bereit ist, sich den Fragen der Wissenschaft zu stellen. Und für die Katholiken war es sicher etwas Besonderes, zu sehen, dass katholische Priester und Ordensleute durchaus in der "ersten Liga" einer (allein schon durch ihre Dimensionen) beeindruckenden Wissenschaft wie der Astronomie mit dabei sind.

Montag, 9. Januar 2012

"Ferien mit Gott"

In den Ferientagen nach Neujahr fand am Stadtrand eine kleine Jugendfahrt statt, organisiert von zwei Ordensschwestern. Fünfzehn Jugendliche und vier Kinder haben daran teilgenommen. Leider hatte ich selber nicht genug Zeit, um ganz daran teilzunehmen, dadurch ist mir Skifahren und ähnliches entgangen. Aber an drei Vormittagen konnte ich mit den Jugendlichen ein paar kleine Besinnungstage gestalten zum Thema "Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft". Beeindruckend war vor allem, wie offen in kleinen Gruppen die Teilnehmer über Enttäuschungen aus der Vergangenheit gesprochen haben (und davon gab es viele, nicht zuletzt durch die Eltern verursacht ...), aber auch über ihre Ideen und Ziele für die Zukunft. Im Rahmen dieser Besinnungstage haben wir dann auch eine Gebets- und Beichtzeit gehalten, die, scheint mir, für manche ziemlich wichtig war, um mit Gott einen kleinen Neuanfang zu wagen. Es war wie oft in der Seelsorge: Die eigentlich Beschenkten waren wir, die Schwestern und ich.

Montag, 2. Januar 2012

Weihnachten, Neujahr und bald wieder Weihnachten

Dieses Jahr war eine große Ausnahme: Der 25. Dezember ("katholisches Weihnachten" nennt ihn der Volksmund) war ein Sonntag und deshalb Feiertag für alle. Wenn er mitten in der Woche liegt, dann ist er dagegen ein ganz normaler Arbeitstag. Nur die Christmette kann gefeiert werden, und dann wieder eine Messe am Abend des 25. Diesmal war es aber, wie gesagt, anders.

Die Weihnachtstage habe ich diesmal in Kujbyschew verbracht, etwa 300 km westlich von hier, um dem dortigen Pfarrer zu helfen. So konnte er dann Gottesdienste in den Dörfern feiern. Danach waren wieder einige ganz normale Arbeitstage, und dann kam das russische Großfest: Neujahr. Baum, Lametta und Geschenke werden erst zur Neujahrsnacht gebraucht, ansonsten natürlich Feuerwerke, Sekt und manchmal Wodka. Man "begleitet" und verabschiedet das alte Jahr und begrüßt dann das neue (mit sehr kurzer Ansprache des Präsidenten, Kreml-Glocken und Hymne). Das setzt natürlich voraus, dass man einen Fernsehsender erwischt, der die für uns richtige Uhrzeit hat (drei Stunden früher als Moskau).

Nach Neujahr kommen dann einige arbeitsfreie Tage, und der eigentliche Alltag beginnt erst wieder am 9.1.

Weihnachten feiern die russisch-orthodoxe Kirche und die griechisch-katholische Kirche in Russland dann am 7. Januar, weil sie sich nach dem Julianischen Kalender richten, der sozusagen 13 Tage "nachgeht".